Aufregung im Elfental
 Die Elfe Sasana 
 Aufregung im Elfental 
 Sasanas Ferien 
 Unas Ulmen 
 Der Einzelgänger 
 Die Reise zum Großen Fest 
 Wenn Igel träumen ... 
 

Eine Elfengeschichte von kellergoethe. Die Rechte liegen beim Autor. Jegliche Veröffentlichung und Vervielfätigung bedarf der vorherigen Genehmigung.


Elfenzeichnung von Pia H. Es gibt Tage, die niemand so richtig genießen kann – obwohl das Wetter alle Voraussetzungen dafür bietet: blauen, wolkenfreien Himmel, warme Sonnenstrahlen und ein sanftes erfrischendes Lüftchen.
Diese Erfahrung machten auch die Bewohner des Tales der Elfe Sasana am Fuße des Berges Porot.
Zwar stiegen die Lerchen wie gewöhnlich auf, um den neuen Tag mit ihren Morgenliedern freudig zu begrüßen, doch dann setzte auch schon die Aufregung ein, die für die nächsten Tage alle Tiere und auch die Elfe selbst in Atem halten sollte.
Noch bevor Sasana zu ihrem Lieblingssitz auf der Silberlinde schweben konnte, hörte sie erregte Stimmen ihren Namen rufen. Die Hasenfamilie Grasklopfer, die in einem Gehölz am Rande der Sauwiese wohnte, sauste - außer sich und als sei der Teufel selbst hinter ihr her - aus den Büschen auf die Elfe zu.
Sasana fragte sich verwundert, was ihre Freunde wohl bewogen haben mochte, ihren Bau schon so zeitig zu verlassen und den weiten Weg zur Linde auf sich zu nehmen. Noch dazu so eilig und mit der ganzen Familie.
"Oh je," seufzte sie, "da muss doch etwas passiert sein." Und so war es tatsächlich.
Die Hasen hatten sie jetzt erreicht und hielten inne. Für den Kleinsten mit Namen Muckelzahn kam der Halt wohl etwas zu plötzlich, denn es gelang ihm nicht, sich von einem Augenblick zum anderen aus vollem Lauf sicheren Stand zu verschaffen. Er verlor das Gleichgewicht und kippte vornüber.
Sein Schwung war sogar so groß, dass er sich überkugelte und in seine Geschwister schoss, die nun durcheinander purzelten. Erst der breite Rücken ihres Vaters hielt dem Druck der stürzenden und unfreiwillig schiebenden Hasenkinder stand.
Weder Herr noch Frau Grasklopfer machten jedoch Anstalten, sich weiter um ihren Nachwuchs zu kümmern. Vielmehr redeten sie, beide zugleich, außer Atem, viel zu schnell und mit sich überschlagenden Stimmen auf Sasana ein. Die Elfe verstand kein Wort und unterbrach den Redeschwall der beiden.
"So geht es nicht. Was ihr mir da erzählen wollt, mag ja recht wichtig sein. Doch was nützt es, wenn ihr redet und redet und alles, was ich verstehe, ist Baspu-afl. Fasst euch erst einmal und holt tief Luft. Hier kann euch nichts geschehen. So, und nun einer nach dem anderen und ganz ruhig."
Doch ebensogut hätte sie auch einen Fluss bitten können, mit dem Fliessen aufzuhören. Schon setzten die verängstigten Stimmen wieder ein, verstärkt noch durch die fünf Hasenkinder, die sich mittlerweile aufgerappelt und dicht aneinandergepresst zwischen ihre Eltern geduckt hatten. Dieses Stimmengewirr hielt so lange an, bis die Hasen vor Erschöpfung nicht mehr konnten und verstummten.
Aus all dem Durcheinander hatte Sasana immerhin einige Worte aufschnappen können. Doch ganz sicher war sie nicht, richtig gehört zu haben.
"Wollt ihr mir etwa erzählen, dass es in eurem Bau spukt?" fragte sie ungläubig.
Die Familie Grasklopfer hatte sich aber so weit verausgabt, dass die Antwort nur noch aus einem matten Nicken von sieben Köpfen bestand.
"Das ist doch Unsinn", erklärte die Elfe mit fester Stimme, in deren Ton auch ein Hauch von Verärgerung schwang. "Ich bringe euch jetzt erst einmal etwas zu essen und zu trinken, damit ihr wieder zu Kräften kommt. Und dann berichtet einer von euch, was denn nun wirklich vorgefallen ist."
Schweigend und heißhungrig machten sich die Hasen über das Bündel Löwenzahnblätter und die Wasserschalen her, die Sasana herbeiholte. Währenddessen fanden sich immer mehr Tiere ein, die, von Neugier getrieben, wissen wollten, was es mit der Aufregung um die Linde herum auf sich hatte.
Frau Grasklopfer erholte sich schneller, als der Rest der Familie. Sie schob die noch vor ihr liegenden Speisen beiseite, richtete sich etwas auf und wandte sich Sasana zu.
"Zunächst einmal musst du entschuldigen, dass wir dich schon so früh am Morgen überfallen. Doch wir haben eine schreckliche Nacht hinter uns gebracht und wissen nicht mehr ein noch aus. Du musst uns unbedingt helfen."
"Das will ich ja auch gerne tun – wenn ich es kann. Doch dazu musst du mir schon genau schildern, was geschehen ist, " erwiderte Sasana.
Und nun erzählte Frau Grasklopfer die höchst merkwürdige Geschichte der Ereignisse der vergangenen Nacht.

Zeichnung von Hanne H.Die ganze Familie war am Abend zuvor, wie es ihrer Gewohnheit entsprach, recht früh zu Bett gegangen. Mitten in der Nacht wachte Frau Grasklopfer auf, weil ihr jemand auf den Rücken geschlagen hatte. Sie dachte, es sei ihr Mann gewesen und drehte sich nach ihm um. Doch er schien tief und fest zu schlafen. Auch die Kinder lagen in ihren Betten, und nichts deutete darauf hin, dass eines von ihnen sich etwa nur verstellte. Also nahm Frau Grasklopfer an, sie hätte nur geträumt und kuschelte sich wieder in ihr Kopfkissen.
Gerade, als sie drauf und dran war, wieder einzuduseln, hörte sie ihren Mann ungehalten fragen:
"Was ist denn? Warum weckst du mich?"
Erneut richtete sie sich auf und blickte zu ihm hinüber. Er sah sie aus verschlafenen Augen an und fragte:
"Also – was ist?"
"Aha", dachte die Hasenfrau bei sich, "dann war er es doch, der mich gerade geknufft hat. Er will mich necken." Laut aber sagte sie: "Lass diese Spielchen sein, ich bin viel zu müde, um sie lustig zu finden. Schlafe gefälligst." – "Das ist doch wohl die Höhe", murmelte ihr Mann. "Sie weckt mich, um mir zu sagen, dass ich schlafen soll. Na warte, darüber reden wir morgen noch."
Er ließ sich wieder auf sein Lager sinken. Auch Frau Grasklopfer überließ sich von neuem ihrer Müdigkeit. Eine Weile herrschte Ruhe in der Wohnung.
Doch dann rief Rosaschnäuzchen plötzlich: "Jetzt höre aber endlich auf, du Biest!"
Seufzend erhob sich die Hasenmutter, um nachzusehen, was bei den Kindern vor sich ginge. Rosaschnäuzchen behauptete, ihr Bruder Hakenschläger ziehe ihr in einem fort die Bettdecke weg. Sie habe daher schon ganz kalte Füße. Hakenschläger bestritt dies heftig und beschuldigte seinerseits seine Schwester, sie trete ihm ständig gegen die Seite. Wer schwindelte, konnte und wollte Frau Grasklopfer nicht klären – jedenfalls nicht in der Nacht. Sie sehnte sich nur nach ihrem warmen Bett. Daher ermahnte sie die beiden Kinder, endlich Ruhe zu geben und nicht auch noch ihre drei Geschwister zu wecken. Als sie aber zu ihrem eigenen Bett zurückkehrte, musste sie feststellen, dass es völlig leer war – weder ihr Kopfkissen, noch ihre Bettdecke befanden sich darin.
Sie nahm an, dies sei ein weiterer Streich ihres Mannes und rüttelte ihn an den Schultern. Sie verlangte, er solle das Kissen und die Decke herausgeben. Herr Grasklopfer wollte von alledem nichts wissen – sein Name sei Hase. Und schon schien er wieder einzuschlafen. Das ging seiner Frau nun aber doch zu weit. Sie schimpfte energisch mit ihm.
So entstand ein Streit zwischen den beiden, der auch noch die drei anderen Hasenkinder aus dem Schlaf holte.
Gerade als Frau Grasklopfer als Ersatz für ihre geraubte Decke diejenige ihres Mannes an sich ziehen wollte, flog ihr aus einer dunklen Ecke des Baus ihr eigenes Kissen an den Kopf.
Ihr Mann verdächtigte augenblicklich die Kinder, die vor ihren Betten stehend den Streit verfolgt hatten. Er herrschte sie an, jetzt sei nicht die Zeit für Kissenschlachten. Sie sollten gefälligst auch noch die Decke herausrücken und sich dann in ihre Betten legen.
Die Kinder beteuerten, sie hätten doch gar nichts getan. "Eurer Mutter ein Kissen an den Kopf zu werfen, nennt ihr gar nichts?" entrüstete sich Frau Grasklopfer.
Doch da sauste auch schon die vermisste Decke aus einer anderen Ecke der Höhle heran und hüllte Herrn Grasklopfer völlig ein. Bevor sich die Hasen von ihrem Schrecken erholen konnten, segelten auch die Kissen aus den Kinderbetten auf sie zu und eine Stimme rief: "Ein weiches Kissen sollst du nicht missen!"
Muckelzahn wurde so heftig von hinten am Kopf getroffen, dass er umfiel. Darauf erklang die Stimme erneut: "Von weichen Kissen hingerissen!"
Dann folgte ein grausliches Gelächter, das nach einigen Sekunden unvermittelt verstummte. Die sich anschließende unheimliche Stille brach Herr Grasklopfer, der sich mittlerweile von der Decke befreit hatte.
"Wer war das?" fragte er schockiert. Doch darauf wußte niemand eine Antwort.
"Na gut, " entschied der Hasenmann, "dann werde ich jetzt die Höhle durchsuchen. Es wird sich schon herausstellen, wer sich da bei uns eingeschlichen hat."
Er durchstöberte jeden Winkel, sah unter alle Betten und schob sogar eine Truhe zur Seite, um nachzusehen, ob sich hinter ihr etwa jemand versteckt hielt.
Er konnte aber nichts und niemanden entdecken.
Die Furcht der Hasen legte sich nun langsam, da sie ja sicher sein konnten, dass sich außer ihnen niemand sonst in ihrer Wohnung befand.
Doch da fielen die Wasserschalen, die Frau Grasklopfer immer auf einem Regal an der Wand aufbewahrte, ohne erkennbaren Grund zu Boden. Und noch in das dadurch entstehende Geschepper hinein ertönte die Stimme wieder:
"Mit der Ruhe – eins, zwei, drei – ist es heute Nacht vorbei!"
Diesen Worten folgte ein höhnisches Gelächter.
Nun hielt die Hasen nichts mehr. Wie der Blitz flohen sie durch den Haupteingang ihrer Wohnung. Als sie das Freie erreichten, hörten sie, wie die Stimme ihnen nachrief:
"Welch´ ein Genuß. Lauf, Familie Hasenfuß!"

Zeichnung von Hanne H.Während dieses Berichts hatten manche der Zuhörer hin und wieder gefeixt und gekichert – besonders, als geschildert wurde, wie der Hasenfrau das Kissen an den Kopf geflogen war. Frau Grasklopfer war aber viel zu sehr mit ihrer Erzählung beschäftigt, als dass sie sich dadurch ablenken ließ.
Sasana hatte die Störer warnend angesehen, denn ihr war klar, dass die Geschichte für die Hasen nicht sehr komisch gewesen sein konnte. Sonst wären sie wohl kaum Hals über Kopf zu ihr geflohen.
Als die Sprache dann auf die unheimliche Stimme aus dem Nichts kam, verstummte auch der letzte Spötter. Frau Grasklopfer hatte geendet und sah niedergeschlagen zu Boden. In die folgende Stille hinein murmelte Herr Grasklopfer bestätigend: "Ja, so wars. Wir sind noch jetzt zu Tode erschrocken."
"Nur gut, dass es Morgen ist", sagte ein Eichhörnchen. "Hättet ihr mir die Geschichte am Abend erzählt, hätte ich nicht einschlafen können, so gruselig war sie."
"Ach was," meldete sich Stolzbrust, der Leithirsch zu Wort. "Entweder haben sie diese Geschichte nur geträumt oder erfunden. Stimmen, die aus dem Nichts kommen, gibt es nicht. Vielleicht hat sich auch nur eine Maus einen Spaß machen wollen."
Herr Grasklopfer empörte sich: "Was denkst du denn von mir? Ich verlasse doch mein Zuhause nicht mitten in der Nacht und renne mir die Seele aus dem Leib, nur wegen einer erfundenen Geschichte. Und außerdem: Hast du vergessen, dass wir die Höhle gründlich durchsucht und niemanden gefunden haben?"
Auch eine Maus fühlte sich beleidigt: "Wir Mäuse tun so etwas nicht. Wir hätten – leider – auch überhaupt nicht die Kraft, so große Kissen durch die Luft zu schleudern."
Stolzbrust schaute mitleidig auf die kleine Maus hinab und sagte: "Schon gut. Ich hab’s ja nicht so gemeint. Wir sollten dem, was die Hasen erzählen, nicht so viel Gewicht beimessen. Es ist doch allgemein bekannt, dass sie vor nichts und wieder nichts erschrecken. Man spricht schließlich völlig zu Recht von Angsthasen."
"Gilt das auch für mich?" fragte eine tiefe Stimme aus dem Hintergrund. Unbemerkt hatte sich eine Rotte Wildschweine zu den Versammelten gesellt. Ihr Anführer, Trüffelschnauze, ein mächtiger Keiler mit furchteinflössenden Hauern, trat nun vor und wiederholte seine Frage: "Gilt das auch für mich? Glaubst du, ich sei auch ein Angsthase?" Seine dunklen Augen schauten verärgert drein.
"Nein, natürlich nicht", beeilte sich der Hirsch zu sagen. "Jeder kennt deinen Mut und deine Kraft. Was hast du aber mit dem Gruselmärchen der Hasen zu tun?"
"Mehr, als du denkst", beschied ihn der Keiler. "Unsere Rotte hatte heute früh auf der Sauwiese ein ähnliches Erlebnis. Das ist auch der Grund, der uns hierher führt."
Diese Eröffnung ließ alle Versammelten wieder verstummen. Damit hatte niemand gerechnet. Wenn sogar die Wildschweine sich keinen anderen Rat wußten, als die Hilfe Sasanas zu erbitten, mußte es sich um ernste Schwierigkeiten handeln.
Alle Augen richteten sich auf die Elfe. Diese forderte Trüffelschnauze auf, seine Geschichte zu erzählen, was dieser dann auch ruhig und würdevoll tat.

Zeichnung von Hanne H.Noch vor Sonnenaufgang war die Wildschweinrotte von ihrem Unterschlupf aus aufgebrochen, um in dem Schlammloch nahe des Gehölzes, in dem sich auch der Bau der Grasklopfers befand, ein Morgenbad zu nehmen und sich anschließend Eicheln, Bucheckern und Pilze zum Frühstück zu suchen. In geordneter Reihe, Trüffelschnauze zuerst, dann die Bachen mit den Frischlingen, waren sie die gewohnten und gut ausgetretenen Pfade entlang marschiert und so zum Schlammloch gekommen. Zunächst hatte der Keiler die nähere Umgebung abgesucht, um sicherzugehen, dass das Bad der Rotte keine unliebsamen Störungen erfuhr. Da er weit und breit kein Zeichen irgendeiner Gefahr bemerkte, gestattete er der wartenden Familie, mit dem Bad zu beginnen.
Er selbst beteiligte sich jedoch noch nicht, sondern umrundete die sich in dem Loch wälzenden und wohlig grunzenden Verwandten. Dabei beäugte er aufmerksam jede Bewegung in seinem Gesichtskreis.
Plötzlich quiekte ein Junges angstvoll auf.
Trüffelschnauze rannte schnell und mit wachsam vorgeschobenem Kopf zu ihm hinüber.
Das sonst so putzig geringelte Schwänzchen des Kleinen stach wie eine Speerspitze in die Luft, und es schien, als werde es daran mit dem Hinterteil zuerst aus dem Loch gezogen. Doch von wem? Da war doch niemand!
Als der Keiler nur noch wenige Schritte entfernt war, rollte sich das Schwänzchen des Frischlings wieder zusammen, und der Kleine plumpste in den Schlamm zurück.
Trüffelschnauze beschnupperte besorgt den Boden und stellte einen höchst merkwürdigen fremden Geruch fest. Irgendetwas, was er noch nie zuvor gerochen hatte, stach ihm in die Nase.
Sofort rief er die Bachen aus dem Loch heraus und wies sie an, sich im Kreis um die Frischlinge herum aufzustellen und sie so zu beschützen.
Er selbst richtete seine Nase wieder auf den Boden, um den Geruch näher zu erkunden und dessen Quelle aufzuspüren.
Die Spur führte etwa zehn Meter von dem Schlammloch weg zu einem dichten Gebüsch. Trüffelschnauze umrundete es.
Der Geruch führte zwar hinein, jedoch nicht wieder heraus. Also versuchte das kräftige Wildschwein, sich durch die Zweige und Sträucher hindurchzuzwängen. Doch die waren so dicht und fest, dass der Keiler steckenblieb.
Sein Kopf ragte in die Mitte des Gebüschs hinein, sein breiter Körper aber paßte nicht durch die Öffnung - so sehr er auch schob, rückte und drängte. Obwohl er es nicht sehen konnte, war er doch sicher, dass das, was er suchte, hier sein mußte - ganz nahe, denn der unbekannte Geruch füllte das ganze Gebüsch.
Plötzlich schwebte ein abgebrochener dicker Ast in die Höhe, der bis dahin auf dem Boden gelegen hatte und fuhr mit kräftigem Schwung auf die Schnauze des Keilers nieder.
Bevor er sich noch von seiner Überraschung erholen konnte, sauste dieser Knüppel schon wieder auf ihn herab. Und wieder. Und wieder. Oh, tat das weh.
Trüffelschnauze geriet in Wut und versuchte mit aller Macht, ganz in die Sträucherhütte einzudringen, um seinen unsichtbaren Widersacher niederzutrampeln. Doch es gelang ihm nicht. Alle zornige Mühe war vergeblich.
Stattdessen hagelten die Schläge nur so auf seine Schnauze. Und dann verhöhnte ihn auch noch eine belustigte Stimme, die laut rief:
"Es war einmal ein dummes Schwein,
das glaubte, klüger als ich zu sein.
In Wahrheit war es nur ein Tropf,
und darum gabs was auf den Kopf."
Während dieses abscheulichen Reimes tanzte der Knüppel immer weiter auf Trüffelschnauzes Nase. Auch als der Unsichtbare in heftiges Lachen ausbrach, hörte er nicht auf, Hiebe auszuteilen.
Trotz seiner Wut sah der Keiler schließlich ein, dass es klüger war, sich zurückzuziehen, wenn er sich die Nase nicht völlig blutig schlagen lassen wollte. Doch das war leichter gedacht, als getan. Er mußte die Prügel noch ein Weilchen erdulden, ehe er auf zittrigen Beinen wieder draußen vor dem Gebüsch stand.
Diese Gegend war nicht mehr sicher, soviel stand fest.
Gegen jedermann kann man sich wehren, doch gegen einen Unsichtbaren nicht. Trüffelschnauze fühlte sich damit überfordert. Er kehrte zur Rotte zurück und führte sie auf gradem Wege zur Linde der Elfe Sasana.

Zeichnung von Hanne H.Nun gab es keine Spötter oder Zweifler mehr unter den Zuhörern. Die angeschwollene Nase Trüffelschnauzes sprach für sich selbst. Zwar hatten erst die Hasen und die Wildschweine je eine unerfreuliche Begegnung mit dem unsichtbaren Wesen gemacht, doch fühlten sich nun alle bedroht und unsicher.
Wie sollte man etwas gegen einen Gegner unternehmen, den man nicht sehen konnte? Dass es sich um einen Gegner handelte, daran zweifelte niemand. Wer Hasenfamilien aus ihrem Bau vertrieb und Wildschweine verprügelte, konnte kein Freund sein.
Trüffelschnauze war aber nicht nur zur Linde gekommen, um über die Erlebnisse des frühen Morgens zu berichten. Er sah Sasana an und sagte:
"Dieser Unsichtbare ist gefährlich - wer oder was er sonst auch immer ist. Also muß etwas geschehen. Da ich aber nicht weiß, wie ich meine Rotte schützen kann, möchte ich deinen Rat hören."
Erwartungsvoll blickten alle Tiere auf die Elfe, die nachdenklich geschwiegen hatte und deren Miene einen immer besorgteren Ausdruck annahm, je länger der Keiler berichtete.
Nun ergriff sie das Wort und sprach zögernd und mit so leiser Stimme, dass es ihre Zuhörer einige Mühe kostete, sie zu verstehen.
"Nach allem, was ich von euch gehört habe, ist es wohl so, dass sich ein Kobold in unser Tal verirrt hat."
"Was sagt sie?" fragte das Eichhörnchen den Kuckuck.
"So genau weiß ich das auch nicht", erwiderte dieser, "es sei unerhört, dass sie sich geirrt habe."
"Wieso hat sie sich geirrt?" Das Eichhörnchen wußte nicht, was es davon halten sollte. "Sie hat doch noch nichts gesagt, da kann sie sich doch noch nicht geirrt haben."
"Haltet den Mund", fuhr Stolzbrust dazwischen. "Ihr macht uns ja alle ganz konfus. Sasana sagte, dass sich ein Kobold hierher verirrt habe."
"Was ist denn das - ein Kobold?" wollte das Eichhörnchen nun trotz der Ermahnung wissen.
"Ein Kobold ist ein Wesen, das sich unsichtbar machen kann", erklärte Sasana - nun lauter redend. "Es macht sich einen Spaß daraus, andere zu ärgern, allerlei Streiche auszuhecken und Schabernack zu treiben. Leider ist es oft so, dass die Opfer, die sich ein Kobold aussucht, diesen Unfug nicht gar so lustig finden, wie er selbst. Ja, diese Wesen können sich sogar zu einer richtigen Plage auswachsen, wenn man sie nicht mehr los wird."
"Und wie kann man sie loswerden?" fragte Herr Grasklopfer. "Ich hoffe, es dauert nicht allzu lange, denn ich verzichte nur sehr ungern auf meinen warmen gemütlichen Bau."
Die Elfe zuckte mit den Schultern. "So genau weiß ich das auch nicht. Ich bin selbst noch nie einem Kobold begegnet und weiß nur, was mir andere Elfen bei unseren alljährlichen Treffen zum Großen Fest erzählt haben."
"Aber es muß doch etwas geben, womit wir ihn vertreiben können", meinte Trüffelschnauze.
"Soweit ich mich erinnern kann", sagte Sasana, "haßt ein Kobold nichts so sehr, wie Langeweile. Er muß ständig etwas zu lachen haben, sonst fühlt er sich nicht wohl. Fangen können wir ihn nicht, denn wir können ihn ja nicht sehen. Doch wir können versuchen, ihm aus dem Wege zu gehen. Dann kann er uns nicht ärgern. Wenn wir das einige Tage durchhalten, wird ihm langweilig werden, und er zieht ab."
"Wie können wir jemandem aus dem Wege gehen, den wir nicht sehen? Wer sagt uns, dass dieser freche Kerl nicht längst mitten unter uns ist und alles mithört, was wir hier beratschlagen?" wandte der Hirsch ein.
"Du hast natürlich Recht", gab Sasana zu, "doch das ist jetzt auch nicht mehr zu ändern. Ich schlage vor, dass alle Tiere, die in dem Gehölz am Rande der Sauwiese wohnen, für einige Tage zu Verwandten in andere Teile des Tals umziehen. Es wäre gut, wenn die hier versammelten Vögel allen Bescheid geben würden."
Da sonst niemand einen besseren Plan wußte, geschah es, wie Sasana empfohlen hatte. So geräuschlos und unauffällig wie nur möglich vollzog sich während des restlichen Tages die Auswanderung aus dem Gebiet, in dem der Kobold zuvor sein Unwesen getrieben hatte. Die Unterbringung bei den Verwandten ging nicht immer so reibungslos vor sich. Es gab manchen Streit, den es zu schlichten galt. Doch als die Sonne unterging, blieb kein Tier ohne Obdach. Alle schliefen in der Hoffnung ein, dass bald wieder Ruhe in ihr Tal einkehren würde.

Zeichnung von Hanne H.Doch so leicht machte es ihnen der Kobold nicht. Er war nicht dumm und bemerkte sehr schnell, was da vor sich ging. Es erheiterte ihn schon sehr, dass seine kleinen Streiche solch große Wirkung zeigten. Dies hier schien der richtige Ort zu sein, um sich auf Dauer niederzulassen. Soviel Spaß hatte er schon lange nicht mehr gehabt.
Am nächsten Morgen zog auch er aus dem Gehölz am Rande der Sauwiese aus und wechselte in einen anderen Teil des Tals. Dort stiftete er den ganzen Tag über Unruhe und Verwirrung. Am darauffolgenden Morgen stellte er fest, dass auch diese Gegend über Nacht von allen Tieren verlassen worden war. Fröhlich pfeifend und singend machte er sich auf den Weg, den Flüchtenden zu folgen.
So ging das zwei Wochen lang. Jeden Tag wachten die Tiere auf und hofften, den unliebsamen Fremden losgeworden zu sein, nur um festzustellen, dass er sie erneut gefunden hatte. Das ganze Tal war ständig in Bewegung. Die einen zogen vorübergehend aus ihren Wohnungen aus, während die anderen zu ihren Behausungen zurückkehrten - und der Kobold immer mitten drin. Sasanas Plan ging nicht auf.
Die Beschwerden häuften sich bei ihr. Sie konnte das Wort Kobold schon nicht mehr hören, ohne sich zu ärgern. Auch sie war von seinen Untaten nicht verschont geblieben. Eines Morgens setzte sie sich auf ihren Lieblingsplatz und fuhr erschrocken und mit einem Schmerzensschrei auf. Dieser Tunichtgut von einem Kobold hatte doch tatsächlich Dornen von Rosen abgebrochen und mit der Spitze nach oben auf ihrem Sitzplatz verteilt.
Während sie sich die Dornen aus ihrem Hinterteil zog und schimpfte, schoß ihr eine neue Idee durch den Kopf, wie sie dem Unfug doch noch ein Ende bereiten konnte.
Nachdem sie sich wieder erholt hatte, ließ sie durch einige Vögel alle Tiere des Tales am Fuße des Berges Porot zum Lindenbaum rufen, um eine Versammlung abzuhalten. Es dauerte natürlich einige Zeit, bis auch die letzte Maus den Ort der Versammlung erreicht hatte. Als Sasana sich von ihrem Platz erhob und zu reden begann, stand die Sonne schon hoch am Himmel.
"Liebe Freunde! Unser erster Plan hatte keinen Erfolg. Seit zwei Wochen gibt es in unserem Tal keinen Frieden mehr. Jeder von euch hatte unter dem Treiben dieses vermaledeiten Kobolds zu leiden. Da er aber noch immer keine Ruhe gibt, müßen wir etwas unternehmen. Glücklicherweise habe ich mich an etwas erinnert, was mir meine alte Freundin und Lehrerin, die Elfe Una, vor langer Zeit bei einem unserer Großen Feste erzählt hat. Es gibt jemanden, der uns helfen kann. Sein Name ist Kosunko, und er wohnt auf dem Berg Iteron. Er ist ein sehr erfolgreicher Koboldjäger. Viele hat er schon eingefangen und zu seinem Haus gebracht. Dort sperrt er sie in Käfige und macht sich ein Vergnügen daraus, sie zu ärgern. Ihr müßt nämlich wissen, dass Kobolde nicht nur die Langeweile haßen, sondern es auch überhaupt nicht vertragen können, selbst geärgert zu werden. Una sagte mir, dass Kosunko bisher noch jeden Kobold gefangen hat, hinter dem er her war. Es tut mir leid, dass mir das erst jetzt eingefallen ist. Ihr wißt ja alle, dass mein Gedächtnis nicht gerade das Beste ist. Ich entschuldige mich bei euch. Vielleicht tröstet es euch, dass das Haus dieses Koboldjägers nur zwei Flugtage von hier entfernt ist. Ich habe also die Taube Gorama gebeten, ihn aufzusuchen und um Hilfe zu bitten. In wenigen Tagen wird Kosunko hier eintreffen und uns von dem Kobold befreien. Bis dahin solltet ihr mir jeweils sofort melden, wo dieser Quälgeist sein Unwesen treibt. So kann ich Kosunko gleich zum richtigen Ort schicken. Habt also noch etwas Geduld und helft alle mit."
Als Sasana sich wieder setzte, brach erleichterter Jubel bei den Tieren aus. Die Aussicht, bald wieder ein normales, ruhiges Leben führen zu können, hob die Stimmung sichtlich. Mit Feuereifer strebten alle ihren Wohnungen zu, um möglichst schnell melden zu können, wo sich der Kobold gerade aufhielt.
Während in den Tagen zuvor die so selten gewordenen Zeiten der Ruhe eher ein ängstliches Warten auf den nächsten Streich waren, schien nun jeder geradezu herbeizuwünschen, dass sich der Kobold rührte, denn dann wüßte man immerhin, wo er zu erwischen war.

Zeichnung von Hanne H.Doch nun trat ein, womit keines der Tiere gerechnet hatte. Es geschah - nichts. Der Kobold verhielt sich still.
Keinem Eichhörnchen wurde die Vorratskammer geplündert; jeder Vogel fand sein Nest genau dort, wo er es verlassen hatte und nicht auf einem ganz anderen Zweig; kein Igel fiel in eine mit Laub abgedeckte Fallgrube; keinem Reh wurde ein Stock quer in das Maul geschoben, während es äste. Vor allem ertönte weder ein höhnischer Reim, noch dieses schreckliche Gelächter. Nichts geschah. Es war geradezu unheimlich still.
Zwei Tage vergingen. Beunruhigt fanden sich einige Tiere bei Sasana ein. Stolzbrust sprach aus, was viele dachten:
"Dieser lästige Kerl ist schlauer, als wir dachten. Er hat sicherlich gehört, was du uns bei der Versammlung erzählt hast und ist nun ein Weilchen ruhig, damit Kosunko ihn nicht finden kann. Wenn dieser Koboldjäger dann unverrichteter Dinge abgezogen ist, geht das Ganze wieder los. Es war wohl ein Fehler, so öffentlich über deinen Plan zu reden. Du hättest daran denken müßen, dass der unsichtbare Kobold dich belauscht."
"Mag sein, dass er mir zugehört hat", entgegnete Sasana ruhig. "Doch das nützt ihm auch nichts. Kosunko ist nämlich nicht darauf angewiesen, dass der Kobold sich zu erkennen gibt. Er besitzt vielmehr magische Kräfte, die ihn unfehlbar zu dem Versteck führen. Ob der Kobold nun reimt oder lacht oder auch nicht - das ist einerlei. Macht euch keine Sorgen. Bald ist der Spuk vorbei."
Die Unbeschwertheit, mit der Sasana dies sagte, beruhigte die Tiere, und sie kehrten zu ihren Familien zurück.
Am nächsten Morgen ließ Sasana durch einige Vögel verkünden, die Oberhäupter der einzelnen Tierarten sollten sich bei der Silberlinde einfinden. Sie habe ihnen etwas mitzuteilen.
Dies führte zu allerlei Gerüchten im Tal.
Wahrscheinlich sei Kosunko eingetroffen, meinten einige. Andere wiederum glaubten gar, der Kobold sei schon eingefangen worden. Jedenfalls beeilten sich die Anführer sehr, zur Linde zu gelangen.
Als sie dort eintrafen, saß Sasana auf ihrem Lieblingssitz und neben ihr Gorama, die Taube. Einen Koboldjäger konnte jedoch niemand entdecken. Trotz der auf allen Gesichtern liegenden Spannung wartete Sasana, bis sie vollzählig waren. Dann verkündete sie:
"Unser Tal gehört wieder uns allein! Der Kobold ist fort!"
An dieser Stelle wurde sie durch Ausrufe der Erleichterung und Verwunderung unterbrochen. Doch sie zeigte mit einer Handbewegung an, dass sie noch mehr zu sagen gedachte und fuhr fort:
"Gorama ist soeben von dem Paß oben auf dem Berg Porot zurückgekehrt. Ihr alle sollt nun ihren Bericht hören. Bitte, Gorama, erzähle."
Die Taube rückte sich zurecht und gurrte. Sie genoß es sichtlich, der Mittelpunkt der Versammlung zu sein.
"Wie Sasana mir aufgetragen hatte, wartete ich seit zwei Tagen oben am Paß, versteckt zwischen dicken Steinen." - Einige Unruhe bei den Zuhörern machte es der Taube unmöglich, weiterzureden.
"Wieso versteckt am Paß?" - "Solltest du nicht Kosunko holen?" - "Was geht eigentlich vor sich?"
Fragen über Fragen ertönten ringsum.
"Also gut!" rief Sasana sehr laut. "Wenn ihr es nicht abwarten könnt, dann muß ich euch eben etwas erklären. Einen Koboldjäger gibt es nicht und schon gar keinen, der Kosunko heißt. Den habe ich nur erfunden. Darüber ganz öffentlich zu reden, war ein Teil meines Planes. Ich erinnerte mich nämlich, wie wahnsinnig neugierig Kobolde sind. Also entschied ich mich, die große Versammlung aller Tiere einzuberufen.
Ich war mir sicher, der Kobold würde davon hören und unbedingt wissen wollen, was wir zu bereden hätten. Darum wartete ich auch auf die letzte Maus. Wenn sie es geschafft hatte, hierher zu kommen, dann würde sich unser neugieriger Kobold auch irgendwo in der Nähe versteckt halten, um uns zu belauschen.
Das, was ich über Kosunko erzählte, sollte ihm Angst machen. Und das ist ja wohl auch gelungen. Jedenfalls verhielt er sich fortan still. Er wollte wohl tatsächlich abwarten, bis Kosunko unser Tal wieder verlassen würde. Als ich dann aber gestern einigen von euch auch noch von den magischen Kräften des angeblichen Koboldjägers berichtete, ist ihm der Boden wohl doch zu heiß geworden. Hört nun, was Gorama an Neuigkeiten bringt. Ich hatte sie tatsächlich zum Paß geschickt. Schließlich wollte ich wissen, ob wenigstens dieser Plan gelingen würde. Gorama, ich glaube, du wirst jetzt nicht mehr unterbrochen. Fahre also bitte fort."
Die Taube rückte sich wieder zurecht, gurrte und begann dann:
"Ja, ich wartete also dort oben am Paß zwischen den Steinen. Das war ganz schön anstrengend. Kein Futter in der Nähe und auch kein Wasser. Und dann die Langeweile. Ich fragte mich schon, ob es überhaupt einen Sinn hatte, auf diesem öden Platz auszuharren. Doch heute am frühen Morgen hörte ich einige Steine den Weg hinunterrollen, so, als habe jemand sie losgetreten. Sehen konnte ich jedoch niemanden. Zuerst glaubte ich, mir das alles nur einzubilden. Doch dann vernahm ich eine Stimme:
´So eine Unverschämtheit`, schrie sie, ´einen Zauberer auf mich zu hetzen. Auf mich! Und das nur wegen einiger harmloser Späße. Keinen Humor haben diese Dummköpfe. Aber da können die lange warten, bis mich einer einfängt. Mich nicht! Soll er nur kommen, dieser Kobunko, Koflunko oder wie er sonst heißt. Zaubern kann er, bis er schwarz wird. Mich kriegt er nicht zu sehen. Keiner von denen wird mich hier je wiedersehen. ` So und ähnlich schimpfte er in einem fort.
Ich wartete, bis die Stimme auf der anderen Seite des Berges verschwand und machte mich dann auf den Weg hierher."
So beendete Gorama ihre Geschichte.
Ja, und damit endet auch meine Geschichte, denn du kannst dir sicherlich vorstellen, was nun noch geschah. Es wurde gejubelt und applaudiert und ein Freudenfest gefeiert, wie es das Tal der Elfe Sasana am Fuße des Berges Porot noch nicht gesehen hatte.



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